1991 gründete sich anlässlich des ersten Irakkrieges in Italien un ponte per und hat seitdem mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen – vor allem im Nahen Osten und Serbien – zur Konfliktvermeidung und -Lösung zusammengearbeitet. Un ponte per ist mit dem Weltsozialforumsprozess gewachsen und vermittelt den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen, Sprachen, Religionen und Traditionen und ist Teil der italienischen Friedensbewegung. Mit Florent Schaeffer, der im Auftrag von un ponte per letzte Woche in Tunis eine Konferenz zur Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit in Nordafrika organisiert hat, führte Andrea Plöger, Medienaktivistin/ Wissenschaftlerin Weltforum der Freien Medien, ein Interview (ein Interview auf Französisch während der Konferenz findet sich auf World Social Forum TV). Die Konferenz lief unter dem Namen „Promoting and Defending Freedom of Expression“ und in Zusammenarbeit mit marokkanischen, tunesischen, irakischen, ägyptischen und den internationalen Netzwerken für freie Medien und Kommunikationsrechte des Weltforums der Freien Medien.
1) Florent, was genau waren die Ziele der Konferenz „Promoting and Defending Freedom of Expression“ in Tunis in der vergangenen Woche?
Florent Schaeffer: Das Ziel der Konferenz war, die Meinungs- und Pressefreiheit als Kernthema voranzubringen, da wir sie unbedingt brauchen, um auch in anderen sozialen Bewegungen weiter zu kommen. Wir wollten verschiedene Akteur_innen zusammen bringen, damit neue Netzwerke entstehen können und wir wollten die Herausbildung eines gemeinsamen Verständnisses und gemeinsamer Positionen bei der Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit unterstützen.
2) Seit und während der Revolution in Tunesien haben sich viele freie Radios, Blogs, Hacker Labs und andere alternative Medien gebildet. Was ist der aktuelle Stand bei der Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit, dem Zugang zu FM Lizenzen und der Finanzierung alternativer Medien?
Florent Schaeffer: Alternative Medien in Tunesien sind weiterhin „a work in progress“. Eine rechtliche Regelung existiert nicht wirklich, die neuen Gesetze werden bisher nicht umgesetzt und die meisten neuen freien Radios arbeiten de facto in der Illegalität. Es ist eine große Herausforderung, ihr Existenzrecht zu verteidigen und eine adäquate Gesetzgebung -sowohl in juristischer, technischer als auch ökonomischer Hinsicht – zu schaffen, damit freie Radios längerfristig überleben können.
Mithilfe des Weltforums der Freien Medien (wie es mit und durch den Prozess des Weltsozialforums als transnationales Netzwerk freier Medien und für Kommunikationsrechte entstanden ist – Anmerkung der Autorin) haben wir sowohl ein Dutzend Radios aus Tunesien zusammen gebracht als auch unabhängige Sender aus anderen Ländern, um eine gemeinsame Plattform für die Verteidigung der Kommunikationsrechte aufzubauen.
Heutzutage wird in Tunesien sehr viel Energie auf den Ausbau der Mainstream-Medien verwendet, die auch dringend gebraucht werden, aber die alternativen Medien werden kaum berücksichtigt. Wir haben uns angestrengt, mit unserer Konferenz zur Schließung dieser Lücke beizutragen.
Ich möchte hinzufügen, dass selbst wenn wir uns gerade in Tunesien in einer besonderen Situation befinden, ist doch das Thema der freien Radios und ihr mangelhafter Zugang zu Sendelizenzen beziehungsweise die fehlenden rechtlichen Regelungen, ein Problem in der ganzen Region.
3) Ende letzten Jahres gab es Proteste gegen neue Gesetze zur Beschränkung des freien Zugangs zum Internet in Tunesien und in den letzten Monaten wurden einige Blogs und Facebook Seiten gesperrt. Anfang Mai nun wurden der seit der Revolution bekannte Blogger Azyz Amami und der Fotograf Sabri Ben Mlouka verhaftet wegen angeblichen Cannabis Besitzes. Könntest Du das kommentieren?
Florent Schaeffer: Kurz vor der Konferenz wurde Azyz Amami verhaftet. Ich habe die Vorbereitungen der Konferenz unterbrochen, um bei den Mobilisierungen für seine Freilassung mitzuwirken, wie auch viele andere internationale Bewohner_innen hier in Tunis, Seite an Seite mit unseren tunesischen Freund_innen und Partner_innen. Die Reaktion der tunesischen Zivilgesellschaft war sehr stark und am Ende konnten wir die Freilassung der beiden erreichen.
Es gibt fortwährend Attacken auf die Jugendlichen, die die Revolution gemacht haben und es ist allen klar, dass das sehr strenge Gesetz gegen den Cannabis Konsum als Repressionsmittel in dieser Hinsicht dient. Es war allerdings das erste Mal, dass jemand durch Proteste freigekommen ist. Der Widerstand geht also weiter. Wir haben in unserer Konferenz einen Raum geschaffen, in dem sich die Kampagne für die Verteidigung der Bürgerrechte der jugendlichen Revolutionär_innen vorstellen konnte.
4) Die tunesische Revolution war eine Inspiration für die gesamte Region – wie sieht die Situation nun drei Jahre nach Beginn des “Arabischen Frühlings” aus?
Tunesien ist das einzige Land, in dem die Gegenrevolution nicht gewonnen hat. Es gibt eindeutige Bemühungen von Teilen der Herrschenden die Ergebnisse der Revolution zu revidieren, wie es in Ägypten passiert ist. Aber es gibt weiterhin Hoffnung und der Ausgang ist sehr offen. Es gab viele gute Schritte – die neue Verfassung, der soziale Widerstand gegen politisch motivierte Gewalt, etc. – doch es gilt: die tunesischen emanzipativen Bewegungen brauchen unsere internationale Solidarität!