Über die aktuelle Rolle alternativer Medien in politischen Auseinandersetzungen diskutierten MedienaktivistInnen in Berlin am 17.7.2013.
Von Andrea Plöger
WSF 2013: Frauen erobern die Medien
Quelle: http://bit.ly/1782hfE
Ausgehend von der Frage welche Bedeutung Medien in aktuellen politischen Auseinandersetzungen heute haben, fand mitten im Berliner Sommerloch eine weitere Debatte unter MedienaktivistInnen aus verschiedenen Kontexten und von verschiedenen Kontinenten statt. Gemeinsamer Bezugspunkt von vielen der Anwesenden war die Nähe zum Netzwerk freier Medien, das sich im Weltsozialforumsprozess konstituiert hat.
Eine der zentralen Fragen dabei war die der Kommunikation für die Formierung sozialer Bewegungen. Eine andere die der Kommunikation von verschiedenen Bewegungen untereinander in post-industriellen Gesellschaften, in denen die Werkbank als Kommunikationsraum wegfällt (hierzu in der demnächst online publizierten Dokumentation: Peter Nikolaus Funke/University of Florida). In einer de-industrialisierten Stadt wie Philadelphia, in der auch die Reste sozialstaatlicher Institutionen zunehmend verschwinden, ist das Media Mobilizing Project MMP mit ca. 500 TeilnehmerInnen pro Jahr eine Instanz, die die Klasseninteressen isolierter und perkarisierter DienstleistungsarbeiterInnen miteinander zu vermitteln vermag (hierzu Todd Wolfson/Rutgers State University of New Jersey). Die Frage stellt sich auch in Europa, insbesondere angesichts der so genannten Finanzkrise. Wo sind die relevanten Akteure, die sich gemeinsam einer im Interesse der Eliten vollzogenen Austeritätspolitik entgegenstellen und einer Umverteilung von unten nach oben Einhalt gebieten? Kommunizieren die gegenwärtigen Bewegungen wie blockupy und die Indignados in Spanien miteinander und mit griechischen GewerkschafterInnen? Und können die Proteste ihre Anliegen ausreichend verständlich an eine breitere Öffentlichkeit kommunizieren und dem Europa-weiten Rechtsruck entgegen treten? (hierzu Judith Dellheim/ Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin).
Und an welchem Punkt steht das Netzwerk freier Medien und für Kommunikationsrechte auf internationaler Ebene? Dieses Netzwerk hat sich in den letzten Jahren von dem Weltsozialforumsprozess, in dessen Rahmen es sich formiert hatte, emanzipiert und eigene Strukturen geschaffen (hierzu Christian Schröder/Universität Hildesheim). Vor allem in Südamerika waren Versuche, die Kommerzialisierung des Mediensektors zurückzunehmen und nicht-kommerziellen Medien Zugang zu verschaffen, erfolgreich. In Argentinien stehen nach einer Gesetzesnovelle den alternativen Medien und Community Radios ein Drittel der Sendeplätze und staatliche Unterstützung zu (hierzu Viviana Uriona/Kameradisten). In Brasilien steht eine Gesetzesänderung auf der Agenda der AkteurInnen der gegenwärtigen Proteste.
Viele AnalystInnen sehen – vor allem in Bezug auf ihre Kommunikationspraxis – eine Linie zwischen den Protesten im Arabischen Frühling, Occupy, den Indignados und zuletzt den Protesten am Taksim Platz in Istanbul und in brasilianischen Großstädten. Zu dieser Kommunikation gehört der Gebrauch des social web für die Mobilisierung zu Versammlungen und Protesten und die Verbreitung von Information und Bildern wie Filmen, bzw. livestream. Mit staatlicher Zensur ist diesen horizontal organisierten AkteurInnen nicht beizukommen, vielmehr generieren die Bilder von Militär- und Polizeirepression bisher weitere Unterstützung.
Nach der Revolution in Tunesien ist nun die langfristige Umgestaltung des (nationalen) Mediensektors und eine Sicherung von Sendelizenzen für alternative Medien das Ziel des in der Revolution gegründeten freien Radio Regueb. Freie Medien werden hier zu den öffentlichen Gütern gezählt, auf die die Bevölkerung ein Recht hat (hierzu: Deborah del Pistoia und Awatef Amri, Radio Regueb).
Der Blick zurück von der internationalen Ebene nach Deutschland zeigt zunächst wenig Bewegung und viele freie Medien, die für sich genommen eine relativ überschaubare Audience haben. Am erfolgreichsten war auf der Ebene der öffentlichen Wahrnehmbarkeit in der letzten Zeit der Refugee Asylstrike. Das Durchbrechen einer staatlich verordneten Isolation von Flüchtlingen und MigrantInnen, in Heimen fernab der Bevölkerung durch die so genannte Residenzpflicht eingesperrt, bewirkte eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit. Auch der Hungerstreik in der Weihnachtszeit vor dem Brandenburger Tor brachte selbst auf Al Jazeera Berichte über das, was einer breiteren Öffentlichkeit lieber verschwiegen werden sollte: die systematische Drangsalierung von AsylbewerberInnen in Deutschland. Bustouren der Protestierenden zu Lagern in diesem Jahr brachen die Isolierung der Geflüchteten voneinander auf. Diese Art der Kommunikation, bei der das social web nicht an erster Stelle steht, ist gleichsam ein Durchbrechen von Informations- und Kommunikationssperren, auch wenn es nicht um eine durch die Regierung verordnete Abschaltung des Internets und des Mobilfunknetzes dabei geht. Dies zeigt, dass auch in einem Land wie Deutschland, in dem die digitalen Medien so verbreitet sind, wie kaum sonst auf der Welt, Kommunikation sich immer noch auf verschiedenen Wegen vollzieht und das „plötzliche“ Auftauchen von bis dahin in Lagern isolierten Geflüchteten eine Kommunikation in Gang setzen kann, die von Regierung und staatlichen Institutionen nicht mehr kontrolliert werden kann.
Allerdings werden in einer scheinbar plötzlichen Kommunikationsoffensive nicht mehr die Mühen vergangener Jahre und Jahrzehnte sichtbar. Obwohl die selbstorganisierte Karawane von Flüchtlingen im Herbst 98 sechs Wochen lang durch die ganze Republik gereist ist und z.T. mit spektakulären Aktionen und Demos auf sich aufmerksam gemacht hat, gab es vor allem im Fernsehen kaum Resonanz und Beachtung. Das zeigte einmal mehr die Notwendigkeit, sich der eigenen Medien zu besinnen und einen eigenen Vertrieb zu organisieren. Der Film „Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus“ des Berliner Bildarchivs Umbruch dokumentierte den Aufbruch der Flüchtlinge und ihren Widerstand. Mit Unterstützung zahlreicher antirassistischer Gruppen wurde er in über 70 Städten gezeigt und fand vor allem in den Flüchtlingslagern viel positive Resonanz. Er zeigte die Entschlossenheit der Flüchtlinge, die sich in der Karawane zusammengefunden hatten, sich nicht mehr mit den demütigenden Lebensumständen in den Asyllagern abzufinden. Und das war einfach ansteckend: „Wir haben keine Wahl – aber eine Stimme“! Der Ansatz einer partizipativen und horizontalen Medienarbeit ist das Selbstverständnis eines Videoaktivismus, wie er in Berlin viele Gruppen inspiriert hat wie z.B. Las otrashttp://www.lasotras.de/ Berlin.
Andere freie Medien, wie das Radio Dreyecklandhttp://www.rdl.de/ Freiburg sind aus sozialen Bewegungen, wie in diesem Fall der Anti-Atomkraftbewegung, entstanden, aber fungieren inzwischen als regionale Alternative zum Mainstream. Kontext TV Berlin dagegen, ein vor wenigen Jahren gegründetes online TV Medium mit regelmäßigen Sendungen und Interviews aus einer globalisierungskritischen Perspektive, befindet sich derzeit noch im Aufbau und könnte irgendwann mal eine echte Alternative zum Mainstream-TV darstellen.
Am Ende steht die Frage der Konvergenz alternativer Medien – vor allem hierzulande – und nach ihrer Wirksamkeit. Während viele im globalen Netzwerk freier Medien und für Kommunikationsrechte vertretenen Medien Sprachrohr von aktuellen Protesten sind, wie etwa vor allem die auf dem Weltsozialforum 2013 in Tunis vertretenen freien Medien aus Nordafrika, so versendet sich das Programm vieler alternativer Medien im globalen Norden des Öfteren in den Weiten des digitalen Netzes, „weil die Bewegung dahinter fehlt“ (so ein Sprecher des Seminars). Und während in einigen südamerikanischen Ländern freie Medien bereits feste Sendeplätze und staatliche Unterstützung erhalten, so müssen sich etwa die in den Revolutionen des arabischen Frühlings entstandenen freien Medien ihren Platz noch erstreiten. In Europa und auch Nordamerika liegt eine aktuelle Herausforderung für alternative Medien sicherlich darin, die mannigfaltigen Proteste in verschiedenen Ländern miteinander und auch in die Troika Länder zu vermitteln. So können z.B. die Proteste gegen eine nationale Asylpolitik in Deutschland erst erfolgreich sein, wenn sich die europäische Asylpolitik insgesamt ändert und die Kampagnen etwa mit der gegen Zwangsumzüge und verknüpft wird, so dass eine Spaltung der KrisenverliererInnen nicht mehr so leicht möglich ist.
Auf Ebene des Mediennetzwerkes wie es aus dem Weltsozialforum hervorgegangen ist, wird gerade eine Austragung des nächsten Weltmedienforums in Indien für 2014 und damit eine Kontaktaufnahme, bzw. Vertiefung von Kontakten nach Asien, diskutiert.